Vom Pfostenbruch bis zur Champions League, vom Bökelberg bis zum Borussia-Park – dieser Text erzählt einen Teil meiner persönlichen Geschichte mit Borussia Mönchengladbach. Eine Reise durch den Fußball mit Herzschmerz und unvergesslichen Momenten.
125 Jahre Borussia Mönchengladbach. Am 1. August 1900 gründete eine Spielgemeinschaft den Fußballverein, der noch in ganz Europa bekannt werden sollte. In den folgenden Jahrzehnten folgten Aufstiege, Meisterschaften sowie nationale und internationale Pokalsiege. Der Verein wurde aber auch für Kuriositäten, wie den Pfostenbruch bekannt. Mehr als 90 Jahre später hat meine persönliche Geschichte mit Borussia begonnen. Schon als Kind wurde ich in ein Trikot mit der Raute gesteckt und mit zum Bökelberg genommen. Obwohl Borussia bei meinem ersten Stadionbesuch mit 2:3 gegen den VfB Stuttgart verlor, blieb mir der Name des Doppeltorschützen Toni Polster im Gedächtnis.
Typisch Borussia
Die 2000er waren nicht von Erfolg gekrönt, haben aber dennoch ihre Spuren bei mir hinterlassen. So habe ich auf der Ostgeraden im strömenden Regen erlebt, wie der eingewechselte Morten Skoubo kurz vor Schluss den 2:2-Ausgleichstreffer schoss. Nach diesem Fußballnachmittag war ich zwar völlig durchnässt, aber glücklich über den gewonnenen Punkt. Ein vom FC Chelsea ausgeliehener finnischer Stürmer schoss sich in mein Herz, weil er mit seinen Treffern praktisch im Alleingang für den Klassenerhalt sorgte: Mikael Forssell. Thomas Broich trat bei starkem Wind einen Freistoß, der eine eigenartige Flugbahn nahm und im Tor landete. Jörg Stiel stand immer zu weit vor seinem „Kasten“. Ich lernte meine Borussia früh kennen. Heute würde man das wohl mit „typisch Borussia“ kommentieren. Im Pokal schlug die Mannschaft den VfB Stuttgart mit 4:2 und den MSV Duisburg im Elfmeterschießen. Dann schied sie im Halbfinale gegen den Underdog Alemannia Aachen mit 0:1 aus. Freude und Leid liegen manchmal nahe beieinander.
Ich sehe das letzte Spiel auf dem Bökelberg noch immer vor meinem inneren Auge. Arie van Lent trifft, Uwe Kamps wird eingewechselt und es ertönen die Gesänge „Uwe, hat’s gesehen“. Damit wurde ein Kapitel geschlossen und es folgte der Umzug in den Borussia-Park. Der Nordpark wurde zur neuen Heimat. 2004 erzielte Ivo Ullich den ersten Treffer im neuen Stadion, doch der Funke wollte in dieser Zeit noch nicht so richtig auf die Fans überspringen. Borussia wollte in dieser Zeit zu viel, wurde aufgrund vieler und namhafter Transfers als „Kaufhaus des Westens” bezeichnet und stieg einige Jahre später sang- und klanglos in die 2. Bundesliga ab. Der direkte Wiederaufstieg gelang und was dann in Mönchengladbach los war, war für mich eine Art Meisterfeier. Ein auf YouTube veröffentlichtes Video dokumentiert, wie Tausende auf dem Weg zur Aufstiegsfeier so laut riefen, dass es wohl über die Stadtgrenzen hinaus zu hören gewesen sein muss. Die Fans allein hätten Borussia zur Meisterschaft singen können. Doch die emotional-sportliche Achterbahnfahrt mit Abstiegskampf fand kein Ende.
Colautti, Dante und de Camargo
Der Last-Minute-Treffer von Roberto Colautti in der Saison 2008/09 war der erste größere emotionale Moment im Borussia-Park. Ich werde nie vergessen, wie Hans Meyer sich durch die Haare griff, weil er es selbst nicht fassen konnte. Eine Woche später vergoldete Dante die drei gewonnenen Punkte bei Energie Cottbus. Der Brasilianer traf nach einer Ecke in der Nachspielzeit zum 1:0. Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass diese emotionalen Treffer noch getoppt werden könnten. Der Klassenerhalt wurde anschließend gesichert und zur neuen Saison übernahm Michael Frontzeck das Traineramt. In seiner zweiten Saison musste jedoch in einer fast schon aussichtslosen Situation die Reißleine gezogen werden. Der unerfahrene Sportdirektor Max Eberl entschied sich daraufhin, Lucien Favre einzustellen und einen Neuaufbau in der 2. Bundesliga zu planen. Doch alles kam anders.
Innerhalb weniger Wochen wurde die Defensive stabilisiert und Marco Reus schoss Borussia mit herausragenden Treffern in die Relegation. Die Art und Weise, wie die Mannschaft aus einer aussichtslosen Situation das Maximum herausgeholt hat, das war zu diesem Zeitpunkt das größte fußballerische Highlight meines Fan-Lebens. Das Relegationsspiel im Borussia-Park bleibt unvergessen. Als ich an diesem Fußballabend den Block betrat, konnte ich die Spannung förmlich spüren. Kein anderes Spiel hatte jemals so eine hohe Bedeutung für mich. Wie in einem Hollywood-Drama wurde es bis zur letzten Minute spannend. In der Nachspielzeit trug sich Folgendes zu: „Da ist de Camargo. Und da ist schon wieder Luthe. Und da ist Hanke. De Camargo. Toooor! Gladbach führt mit 1:0. Was jetzt los ist, ist ja unfassbar!“ Ich konnte den Treffer aus meinem Block heraus sehr gut sehen. Danach ging ich im Freudentaumel unter. Dieser Treffer überstrahlt alles, denn er wirkte wie der Startschuss in eine neue Ära. Borussia sicherte sich im Rückspiel nach einem 1:1 in Bochum den Klassenerhalt – und ab diesem Zeitpunkt änderte sich vieles zum Positiven.
Eine neue Ära beginnt
Borussia entwickelte sich zu einer Topmannschaft, die in der Champions League spielte, aber auch bittere Niederlagen im DFB-Pokal erlitt. Nach Jahren im Abstiegskampf war ich sehr dankbar, das alles erleben zu können. Der FC Barcelona, Manchester City und Juventus Turin gastierten in Mönchengladbach. Davon hatte ich als Kind nur träumen können, doch plötzlich waren die großen Stars zu Gast im Borussia-Park. Leider hatte die Pandemie großen Einfluss darauf, was von diesen großen Momenten am Ende spürbar übrig geblieben ist. Wer weiß, wo Borussia heute stünde, wenn die Fans dabei hätten sein können als das Achtelfinale der Königsklasse erreicht wurde. Obwohl die letzten Jahre sehr herausfordernd waren, haben wir Fans immer wieder gezeigt, dass wir zu unserem Verein stehen. Die Treue der Fans von Borussia Mönchengladbach ist einzigartig. Stolzer Blick zurück, volle Kraft voraus.
Borussia lässt einen nicht mehr los. In jedem Winkel dieser Erde lässt sich eine Raute finden, sei es auf einer Fahne, auf einem Auto oder auf einem Kleidungsstück. Borussia ist überall präsent: in den Bergen, am Strand und in Großstädten. Wenn man gefragt wird, woher man kommt und Mönchengladbach sagt, dann ist die Reaktion oft: „Borussia!” Die Älteren erzählen von Stefan Effenberg, Günter Netzer und Lothar Matthäus. Die Jüngeren schwärmen von Juan Arango, Martin Stranzl oder Granit Xhaka. Ich darf mich glücklich schätzen, dass mein Vater mich ins Stadion mitgenommen hat, dass meine Familie schon immer zur Borussia gehalten hat. Selbst meine Großtante, die sich kaum für Fußball interessiert, schwärmt noch heute von der Meisterfeier in Mönchengladbach, bei der sie zufällig gewesen ist. Ich kann Borussia zum Geburtstag nichts schenken, außer Dankbarkeit. Die Raute lässt einen nie mehr los: Partnerschaften enden, aber die Liebe zur Borussia endet nie. Danke für 125 Jahre Borussia Mönchengladbach.
Hallo Jonas, selten einen so perfekten Artikel über „meine“ Borussia gelesen. Du sprichst mir und sicher vielen anderen aus dem Herzen. Auch ich habe das Alles vom Bökelberg bis heute in den Borussia-Park als 1954er erlebt bzw. erleben dürfen. Respekt!!!
Vielen Dank dafür und das wir noch schöne Erlebnisse mit unserer Borussia erleben dürfen wünscht Dir und allen Borussenfans Franz
Fühlt sich an, als wäre ich selbst bei allem dabei gewesen ; )
Außergewöhnlich gut formuliert.
Meine Geschichte geht noch weiter zurück. Mit ähnlichen Bildern im Kopf. Bilder, die nie mehr weggingen. Auch ohne schlaues Telefon mit integrierter Spiegelreflexkamera.
Und jeder andere hat seine Geschichte mit diesem Verein.
Eins gilt sicher für jeden.
Es ist ein Teil des Lebens. Gerade die Aufs und Abs haben es doch interessanter gemacht, als 176 Meisterschaften der Bayern.
Irgendwann…
Wir im Westerwald glauben noch daran.